Selbstbau von Gleisen bei Spur N

Diese Seite enthält viel Kritik. Ich möchte jedoch als Gegenpol auf einen Gastbeitrag von Maximilian Manderla verweisen, in dem er seine Vorgehensweise beim Bau des Trennungsbahnhofs Weilmünster sehr anschaulich beschreibt.

Nicht selten stoße ich auf die Meinung: Du bist erst ein richtige Modellbahner, wenn Du die Gleise deiner Anlage/deiner Module selber baust. Alle fortgeschrittenen Modellbahner machen das!

Alle? Nicht alle!

Viele Modellbahner halten überhaupt nichts von Gleisselbstbau. Zumindest generell. Für gewisse Spezialfälle ist ein ganz- oder teilweiser Selbstbau angebracht oder sogar notwendig, zum Beispiel, wenn vorbildlich schlanke Weichen oder ungewöhnliche Gleisgeometrien realisiert werden sollen oder müssen. In der Regel ist das jedoch nicht nötig und häufig sogar unangebracht. Schauen wir uns die Meinungen und die Resultate mal genauer an.

Verfechter von Selbstbaugleisen behaupten häufig, das könne jedermann mit wenig Aufwand lernen. Ich bin da anderer Meinung. Ich glaube, sie sitzen auf einem Denkfehler auf, den man "umgekehrter Dunning-Kruger-Effekt" nennt. Der Effekt geht so: Verhaltensforscher haben herausgefunden, dass inkompetente Menschen sich ihrer eigenen Inkompetenz nicht bewusst sind. Sie überschätzen sich und den Wert und die Qualität ihres Schaffens. Ihre Inkompetenz verhindert einen objektiven Blick auf die eigene Persönlichkeit. Man sagt auch: Der ist zu blöd seine Blödheit zu bemerken. Es gibt jedoch auch den umgekehrten Fall. Intelligente und talentierte Menschen glauben dann, dass ihre Fähigkeiten auch anderen zur Verfügung stehen, wenn diese sich nur genügend anstrengen würden. Sie erkennen nicht die eigene Außergewöhnlichkeit und erwarten daher zu viel von anderen. Ich glaube, dieses Denken bei vielen Fans des Selbstbaugleises zu begegnen. Ob es also wirklich erstrebenswert ist, die notwendigen Fähigkeiten zu erlernen, sollte jeder für sich selbst entscheiden. Eins ist jedoch klar: Einfach ist es auf keinen Fall.

Für Selbstbaugleise werden in Spur N meist Schienenprofile auf Schwellen aus kupferkaschierten Leiterplattenmaterial gelötet. Dieser Prozess muss sehr sorgfältig erfolgen und man braucht viel Übung für ein zufriedenstellendes Ergebnis. Selbst ein einfaches gerades Gleis ist hier bereits eine Herausforderung. Ein 1 m langes Spur-N-Gleis hat bei Regelabstand 266 Schwellen. Das bedeutet also 532 Lötstellen, die alle gelungen sein müssen, sonst sieht es nach nix aus! Noch schwieriger sind Weichen herzustellen. Hier sind viele Teile, gerade und gebogen, an exakten Stellen zu platzieren und richtig und zuverlässig zu verbinden. Die Anzahl von Korrekturmöglichkeiten ist stark begrenzt. Jeder Elektronikbastler weiß, wie schnell sich die Kupferbahn vom Träger löst, wenn man an Lötstellen "herumbrät". Bei der Herstellung von Weichen und auch bei einfachen Gleisen geht nichts ohne die entsprechenden Vorrichtungen, die die Einzelteile beim Löten in Position halten.

Im Zusammenhang von Selbstbaugleis wird gerne auch gepredigt, man können dann ein niedrigeres Schienenprofil (meist Code-40, 1 mm hoch) verwenden, was viel besser aussehe als die "klobigen" Industrieschienen. Dazu das Folgende: Bei einem gut gestalteten Gleiskörper sind die 0,4 mm Unterschied zwischen industriellen Code-55-Gleis und selbst gelöteten Code-40-Gleis nur auf Fotos im Makro-Modus erkennbar. Etwas anderes fällt (mir) jedoch ins Auge: Bei gelöteten Gleisen fehlt etwas. Es fehlen die Kleineisen, die bei Industriegleisen zumindest angedeutet sind und die einen wichtigen Beitrag zum Gesamteindruck leisten. Ohne diese Details wirkt das Gleis (für mich) irgendwie unfertig. Noch viel Schlimmeres sehe ich häufig bei selbstgebauten Weichen: Die Zungen biegen sich wie eine Banane von der Zungenspitze zunächst in Richtung Backenschiene und dann wieder zurück in Richtung Herzstück. So sieht keine Weiche aus! Wer als Erbauer das Aussehen derart geformte Zungen verteidigt, macht sich des Dunning-Kruger-Effekts verdächtig. Bei Weichen kommt noch hinzu, dass im Bewegungsbereich der Zungen häufig die Kupferschicht der Schwellen hervorblinkt, da hier eine Lackschicht naturgemäß wenig haltbar ist. Mögen die blitzenden Flecken auch noch so klein sein. Bei entsprechend ungünstigen Lichteinfall stören sie (mich) enorm.

Weiterhin wird die Legende strapaziert, NEM-Räder würden auch auf Code-40-Gleisen problemlos laufen, denn die Höhe des Spurkranzes beträgt laut NEM ja 0,9 mm. Das ist theoretisch richtig, in der Praxis jedoch oft falsch. Wenn Räder doch über die Schwellen rattern, kann das vielerlei Ursachen haben. Es könnte sein, dass der Fahrzeughersteller, die 0,9 mm nicht so genau genommen hat. Es könnte sein, dass die kegelförmige Lauffläche des Rades die übrig gebliebenen 0,1 mm schluckt. Es könnte sein, dass Schottersteinchen oder Lötzinnreste an der Schieneninnenseite herausstehen. Es könnte sein, dass die Code-40-Schiene doch ein wenig zu niedrig ist, sei es durch Herstellungstoleranzen oder Einsatz von schleifenden Methoden beim Gleisbau. Was immer auch die jeweilige Ursache ist: Es ist naiv zu glauben, dass eine Toleranz von 0,1 mm ausreichend wäre. Sind ratternde Geräusche bei Wagen vielleicht nur störend, Triebfahrzeuge, die mit ihren Laufflächen in der Luft hängen, verlieren ihre elektrische Bodenhaftung und bleiben einfach stehen. Aber ja, es ist möglich mit NEM-Rädern Code-40-Gleise zu befahren. Aber nur, wenn wirklich alles stimmt. Verlassen würde ich mich darauf nicht. Man kann Gleise übrigens auch mit Code-55-Schienen selbst löten, aber wer macht das schon?

Und zu guter Letzt: Selbstbau von Gleisen wird hauptsächlich in Fremo-Kreisen propagiert. Man möge sich klar machen, dass die selbst gebauten Gleise auf Modulen verlegt sind, die Belastungen ausgesetzt sind, wie sie bei einer fest installierten Anlage nicht auftreten. Es sind Transport, Aufbau und Abbau bei Fremo-Treffen mit den entsprechenden mechanischen und thermischen Belastungen. Gerade die Wirkung von Temperaturschwankungen wird offenbar weit unterschätzt. Alle diese Belastungen wirken auf die winzigen Verbindungspunkte zwischen Schienenstrang und Kupferkaschierung. Ein Modulkasten aus Holz dehnt sich anders als das Metall der Schiene! Ich kenne inzwischen keinen (!) Erbauer von Selbstbaugleis, der nicht auf einem Fremo-Treffen aufgegangene Lötstellen reparieren musste. Unter ihnen sind Leute, deren modellbautechnische Fähigkeiten ich sehr bewundere. Die einzig mögliche Schlussfolgerung lautet daher für mich: Selbstbaugleis, sei es auch noch so perfekt gebaut, ist für mobile Anlagenteile viel weniger zuverlässig als Industriegleis.

Ende der Durchsage.

Vorbildlicher Gleiskörper aus Peco-Gleis auf dem "Brückenmüller" von Elvis Müller.

Hervorragendes Code-40 Selbstbaugleis in Kleinbrüchter von Michael Köhler.

Nachtrag

Mitte des Jahres 2022 konnte ich an einem Fremo-Treffen teilnehmen, bei dem der überwiegende Teil der Module aus Code40-Selbstbaugleis bestand. Obligatorisch waren Fahrzeuge mit RP25-Radsätzen (Spurkranzhöhe 0,5 mm anstatt der NEM von 0,9 mm). Viele Module hatten ein hohes Durchschnittsalter, es waren jedoch auch Module dabei, die sich noch im Bau befanden. Ich muss leider das harsche Urteil fällen, dass technische Zuverlässigkeit und optischer Eindruck eine Katastrophe waren. Sehr häufig kam es zu Entgleisungen an Modulübergängen, auf Weichen oder auch einfach nur auf der Strecke. Die Gleise waren so oft repariert worden (geflickt ist ein besserer Ausdruck), dass überall kleine und größere Lötzinnreste auf Schwellen und Schienen hervor blinkten. Dies betraf sowohl ältere Module, als auch jene, die sich noch im Bau befanden. Auch auf dem Treffen mussten wieder mehrere Stellen gelötet werden, besonders an den Modulübergängen. Trotz der niedrigen Spurkränze ratterten Räder über das Schwellenband. Besonders aufgefallen war mir außerdem, dass sich die Eigentümer an die mangelhafte Funktion und Optik offenbar gewöhnt hatten. Entgleiste Fahrzeuge wurden stoisch wieder aufgegleist. Man war stolz auf die Gestaltung der Module. Kein einziges Mal kam es zu einer kritischen Bemerkung bezüglich des eigenen Schaffens.